Glut

Legende vom Woher und Wohin

Unsere Geschichte zeigt, wie oft Religionen von den Mächtigen zu einem Werkzeug ihres Machtmissbrauchs umfunktioniert wurden. Dennoch gibt es zu allen Zeiten Menschen, welche die Essenz, die darin ruht, das »Gute« und die »Liebe«, wie eine ewige GLUT in sich aufnehmen und für die Nachwelt weitertragen. Auf diese Weise bewahren sie die Vorstellung eines übernatürlichen Wesens, einer schöpferischen Kraft oder einer allumfassenden Energie.

GLUT führt als Episodenroman aus grauer Vorzeit in eine nicht allzu ferne Zukunft. Historisch-archäologische Erkenntnisse über antike Kulturen, Religionsgeschichte, Philosophisches und spirituelle Ansätze bilden das Herz der Erzählungen. Sprachliche und gesellschaftliche Entwicklungen werden behutsam nachgezeichnet, und die schillernden Figuren skizzieren eine faszinierende Legende vom Woher und Wohin.


Glut, Roman

Ausschnitte aus drei Kapiteln:

Als das Feuer von den Bergeshöhen zu den Menschen kam
und alles seinen Anfang nahm

Am Anfang war das Wort: »Geh!«, einfach nur »geh!«. Wehmütig blickte er zurück, auf die moosbewachsenen Ausläufer des Gebirges, über die Baumwipfel, bis hinab in die große Ebene, wo er, unterhalb der Höhlen, die Windschilde der Sippe wusste. Dort hatten sie gespielt und von der Gefährlichkeit des Feuers erfahren, dort hatten sie die Spuren des Wildes lesen gelernt und oftmals Gazellen gejagt.

Mewonn erschrak. Hinter der Felskette zu seiner Linken stieg Rauch in den Himmel, und das Gedröhn erkannte er als den schaurigen Lärm aus Kindheitstagen. Damals war alles noch in der Ferne gelegen: dunkel und drohend, aber trotzdem allgegenwärtig in den Erzählungen der alten Frau. Mewonn ahnte die Nähe des Feuers, und trotz des Windes glaubte er seine Hitze zu spüren – war es das, wovon die Alten stets gesprochen hatten? Am Gürtel fühlte er den glatten Stein der Axt. Nicht einmal zu essen hatten sie ihm geben wollen, kein Fell und kein Werkzeug. Die Mitnahme der Axt war nur Gresonn zu danken. Er hatte die andern zurückgehalten. Ihn vermisste Mewonn als Einzigen, und der Gedanke, ihn für immer verloren zu haben, schmerzte.

Mewonn und Gresonn hatten dieselbe Mutter. Alaala war als Mädchen aus den Wäldern gekommen, um ihre Söhne in der Tiefebene großzuziehen. Jeden Tag waren sie zusammen gewesen, und auf der Jagd konnte der eine sich auf den andern verlassen. Nun fühlte er zum ersten Mal, dass niemand hinter ihm stand, dass niemand ihm helfen würde, wenn ein Raubtier angriff. Vielleicht aber gab es hier gar keine Raubtiere, denn das Feuer schien alles Lebende zu vertreiben.

Mewonn atmete tief ein und erklomm einen der Felsen, die am Ausläufer des Berges wie verlorene, rein zufällig hingestreute Gesteinsbrocken wirkten. Sie waren jedoch so gewaltig, dass die gesamte Sippe mit vereinten Kräften nicht einen einzigen hätte bewegen können. Oben angekommen, erblickte er weitläufige Wiesen, die näher zu den Gebirgshöhen führten. Grünes Gras beruhigte ihn und gab ein Gefühl von Sicherheit, doch merkte er wohl, dass die Grasbüschel spärlicher wurden und ihre Farbe änderten. Während die Ebene ein Gutteil des Jahres ihr sattes Grün darbot, wirkten die Halme hier oben dünn und schwach. Die grüne Farbe wurde dunkler, und vereinzelt kippte sie ins Braun. Mewonn setzte sich, mit Blick zur Ebene, auf den Boden.

(…)

Als die Frucht zu Stein erstarrte und vermeintlich
vorbestimmtes Machtgefüge dauerhaft zertrümmerte

Als Eli den Kopf hob, den Wind in seinem Gesicht spürte und bemerkte, wie tief die Sonne stand, sah er die Früchte in gelben und rötlichen Häuflein, teils von Insekten umschwärmt, am anderen Ufer liegen. Sie waren von den Gärten herabgefallen. Er wandte sich um. Wenige Meter trennten ihn von den Brüdern, die immer noch, den Speer in der Hand und im seichten Wasser watend, nach Fischbeute suchten. Mit einem Pfiff machte er auf sich aufmerksam, wies mit dem Kinn auf das andere Ufer und zeigte den Beutel, den sie für die Fische mitgenommen hatten.

»Holen wir sie uns«, sagte er.

Die Brüder sahen einander fragend an, und einer, es war der jüngste, schüttelte den Kopf.

»Das sind Quitten!«

»Ich weiß, dass das Quitten sind«, sagte Eli, »die sind süß …«

»Wir dürfen sie nicht nehmen, das ist verboten.« »Ach, der König hats verboten«, winkte er ab.

»Dann sind sie nicht für uns bestimmt, wenn der König es verboten hat.«

»Er will sie doch gar nicht. Seht, wie viele hier liegen!«, rief Eli.

»Sie gehören aber doch dem König.«

»Isst er sie etwa? Gibt er sie seinen Leuten? Nein, verfaulen lässt er sie, sieh doch! Außerdem, er hat so viele davon, du siehst ja, wie sie aus den Gärten herabfallen. Wir nehmen ihm nichts weg, verstehst du?«

Eli warf den Sack über die Schultern, ging ein paar Schritte flussaufwärts, wo es keine Tiefen gab, und stapfte langsam zum anderen Ufer. Die Brüder zögerten nicht lange und folgten, dicht hintereinander, Qalam, Uschta, Nohar und der jüngste, Jaakev. Sie teilten sich in zwei Gruppen und sammelten alle Früchte auf, die noch keine Spuren von Fäulnis zeigten.

»Es ist nicht richtig, was wir da tun«, sagte Jaakev leise zu Eli.

»Du kannst ja das nächste Mal daheim bleiben, wenns dir nicht gefällt.«

Jaakev blieb zurück, bis Uschta und Nohar bei ihm waren. Die beiden Brüder legten die gesammelten Quitten in seine Arme, damit er sie zum Sack trug. Einen Augenblick hielt Eli inne, öffnete den Sack und lächelte, als Jaakev, ohne aufzusehen, die Früchte hineinfallen ließ.

Tief im Westen schien die Goldfarbe der Sonnenscheibe über die Hügel zu rinnen. Eli befand sich mit seinen Brüdern unter den Blättern der Quittenbäume, deren Äste hoch über ihnen aus den Gärten ragten. Die Lehmmauer führte steil hinauf, bis zur ersten Stufe der Zikkurat, wo der Garten um das ganze Gebäude herumlief. Hinter ihnen wuchs der Schatten des Palastes, bedeckte den dahinter liegenden Stadtteil und berührte den Fuß der Stadtmauer. Harte Linien zeichnend, hoben sich die Terrassenstufen deutlich vom Boden ab, doch verloren sie ihre Schärfe, Konturen von Sand und Kieselsteinen nachahmend, als das Tageslicht zurückwich, Schatten und Helligkeit einander annäherte und am Ende in der Dunkelheit zerbrach.

Eli roch an einer der Quitten, schüttelte den Kopf und warf sie auf den Haufen zurück, von dem er sie genommen hatte. Dem Bruder gab er ein Zeichen, den Sack zu schließen, bevor er ihn aufhob und mit Qalams Hilfe auf seine Schulter legte.

»Es ist genug. Bei der Dunkelheit sehen wir nicht, ob sie gut oder schlecht sind.«

»Gehen wir heim«, sagte Qalam.

»Morgen können wir ja wiederkommen«, meinte Eli mit einem Blick auf das Wasser, »vielleicht gleich in der Frühe, dann können wir nachher auf dem Markt unseren Fisch verkaufen. Was denkt ihr?«

Uschta zuckte mit den Schultern, Qalam durchschritt den Fluss und Jaakev hielt dem Blick seines Bruders wortlos stand. Als die andern Qalam folgten, blieb Jaakev stehen, wandte sich zurück und sah die Mauer hinauf. An den Seiten glaubte er Licht zu sehen, kleine Öllampen vielleicht, wie die Palastdiener sie nutzten. Bewegung schien einen Teil der Obstbäume zu erfassen, lautlos und drohend, doch unbestimmt und vorübergehend. Jaakev dachte, der Wind hätte die Bäume durcheinandergebracht; so senkte er den Kopf, hob das Fischernetz auf, das er vor dem Einsammeln der Früchte beiseitegelegt hatte, und überquerte den Fluss an einer der vielen seichten Stellen.

Die Knaben gingen am Stadttor vorbei, folgten der Hauptstraße, bis sie zum Stadtteil der Aramäer gelangten. Es waren nicht mehr viele Menschen unterwegs, und die meisten Häuser wurden von Öllampen oder Fackeln erleuchtet. Am Haus der Eltern schlüpften sie durch den Seiteneingang ins Innere. Der Mond war aufgegangen. Undeutlich malte er Schatten auf den Boden, die Umrisse von Dächern, Wäscheleinen und, an der Kreuzung zur Hauptstraße, einer Gruppe von Soldaten, deren Röcke das Abzeichen des Königs zierte.

(…)

Wie ein fernes Treffen aller Glut das Beste abverlangen und
im selben Atemzug die Ruhe bringen wird

 

Statement: Zeit ist keiner zwingenden Abfolge unterworfen, und vor allem entspricht sie in keiner Weise der menschlichen Wahrnehmung.

 

 

Anflug: Der große Gemeinschaftsraum, der über mehrere großflächige Fenster einen Ausblick ins All erlaubte, hatte sich zu einem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens an Bord entwickelt. Hier trafen sich alle Teilnehmer*innen der Unternehmung, hier wurde rund um die Uhr angeregt geplaudert und diskutiert, hier festigten sich Freundschaften und entstanden neue. Nur hier gab es einen völlig ungezwungenen und informellen Umgang zwischen der Leitung und dem Personal der unterschiedlichen Delegationen.

Der ganze Saal war als Ausstülpung der äußeren Rotationsschale angelegt, wodurch die seitlichen Fensteröffnungen überhaupt erst ermöglicht wurden. Viele Besatzungsmitglieder lehnten stundenlang an den Scheiben und bestaunten die Weiten des Weltraums, die aufgrund der Eigendrehung in steter Bewegung blieben; für ein digital korrigiertes stehendes Bild sorgten hingegen die mit den Außenkameras verbundenen Infodisplays, die jeweils in der Mitte der Tische angeordnet waren. Nahe Sternkonstellationen hatten sich ein wenig verändert, sodass sie ungewohnt aussahen. Die Himmelskörper verschoben sich scheinbar aufgrund des neuen Blickwinkels, und die Besatzung hielt Ratespiele ab, in denen es darum ging, die abweichende Lage der Objekte möglichst genau zu schätzen. Lediglich die Astronom*innen in der Kollegenschaft blieben von den Ratespielen ausgeschlossen, weil sie viele dieser Abweichungen mit großer Präzision von ihrer Arbeit her kannten, wenn nicht sogar selbst berechnet hatten.

War auch jemand aus der Nautischen Leitung des Feichuáns E1, ihres Raumschiffs, anwesend, dann erfuhr jede veränderte Position ein zusätzliches wissenschaftliches Fundament, denn eine der nautischen Aufgaben bestand darin, die von der Astronomie berechnete Anordnung der Gestirne vor Ort zu überprüfen, um etwaigen Rechenfehlern oder auch falschen Messungen der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Der Gemeinschaftsraum wandelte sich in solchen Stunden zu einem Vortragssaal, in dem alle den Worten lauschten, die sie freilich schon wiederholt vernommen hatten.

 

 

Nachricht: Das Lokal war gesteckt voll. Die Anwesenden drängten sich um den Bildschirm, der die gesamte Breite der Rückwand einnahm und die Nachrichtenkennung tonitruant in den Raum warf. Die Kellner*innen kamen mit dem Einschenken nicht nach. Dennoch hielten sie alle inne, als das Nachrichtensprecherpaar erschien und mit einer Handbewegung um Ruhe bat, als könnten sie die Milliarden vor den Empfangsgeräten tatsächlich sehen.

»Wir sind nicht allein!«, sagte die Sprecherin bedeutungsvoll in die Kamera, und ihr Kollege wiederholte zustimmend: »Wir sind nicht allein.«

(…)


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Die Buchdecke wurde von Klaus Ebner unter Verwendung eines Bildes (Flammen) von Alexa auf Pixabay (www.pixabay.com) gestaltet.